Am Sonntag hat mein Heimatland Sachsen-Anhalt einen neuen Landtag gewählt. Viel wurde bereits und wird noch darüber gesagt, Wähler:innen-Wanderungen und Wahl-Verhalten analysiert. Was schon jetzt überdeutlich ist, wie viele Menschen ihr Kreuz nicht nach ihren eigenen Interessen, Bedürfnissen und Wünschen gemacht haben, sondern ‘strategisch’ gewählt haben im Glauben dadurch Schlimmeres zu verhindern.

Im Live-Talk am nächsten Dienstag (15.6.21, 20:30 Uhr) auf Instagram, widme ich mich auch nochmal konkret dem Thema strategisches Wählen und was das mit einer Bevölkerung und den Bürger:innen macht.

Heute möchte ich den Blick auf eine Entwicklung richten, die auch dieses Mal wieder deutlich weniger Beachtung findet: Die steigende Abgabe der Zweitstimme an Parteien, die gar nicht erst in den Landtag kommen. Gemeinsam mit dem strategischen Wählen verzerrt dies das Bild. Unser aktuelles Wahlergebnis ist weit weg vom Wähler:innen-Willen. Das ist aber nicht Schuld der Wähler:innen, die versuchen bestmöglich zu agieren. Es liegt an den Strukturen.

Wenn wir uns das Wahlergebnis daraufhin anschauen, wird schnell klar, was ich meine:

Das Vorläufige Wahlergebnis von Sonntag mit den Gewinnen und Verlusten nach Parteien aufgeschlüssel. Quelle: MDR

Auf den ersten Blick scheint kein großer Anstieg erkennbar – 0,4% mehr bei Sonstige. Aber der zweite Blick zeigt, die Freien Wähler sind gesondert ausgewiesen, aber eben auch nicht im Landtag vertreten. Macht also beachtliche 10,3% zusammen. 

Bei der Wahl in Sachsen-Anhalt hat jede:r Zehnte seine Zweitstimme einer Partei gegeben obwohl klar war, dass ihre Stimme dann wahrscheinlich nicht im Landtag vertreten sein wird. Jede:r Zehnte.

In meinem Bundestagswahlkreis steigt diese Zahl noch einmal. 12,29% der Zweitstimmen in Magdeburger Wahlbezirken ging an Parteien, die nicht im Landtag sitzen – fast jede achte gültige Stimme. FAST JEDE ACHTE STIMME!

Gleichzeitig ist der Landtag trotz Verringerung der Direktmandate (sind von 43 in 2016 auf 41 gesenkt worden) und bei leicht gesunkener Wahlbeteiligung aufgrund der Struktur der Überhang- und Ausgleichsmandate um über 10% von 87 auf 97 Sitze angeschwollen.

Weniger Direktmandate, über zehn Prozent Zweitstimmen, die nicht vertreten werden und gleichzeitig wächst der Landtag um 10 Sitze an? Das passt doch nicht zusammen! 

Der Landtag ist also gewählt – von Bürger:innen, die strategisch agieren, und ohne die vielen Stimmen von Menschen, die nicht wählen dürfen, obwohl sie hier leben (zB. Menschen unter 18 Jahre und Zugewanderte). Darf ich da fragen: Wie repräsentativ ist dieser Landtag eigentlich wirklich für Sachsen-Anhalt?

Ein Keim der Hoffnung

Diese Menschen, die aus Überzeugung wählen, auch wenn ihre Parteien wenig bis keine Chance auf den Einzug in den Landtag haben, diese Menschen stimmen mich hoffnungsvoll für unsere Demokratie. Sie wollen gehört und wahrgenommen werden. Und das System wirft ihre Stimmen weg. Das sind Menschen, die das alte Spiel nicht (mehr) mitspielen wollen, Menschen abseits der großen Parteipolitik. Und es werden immer mehr. 

Und es wirft in mir die Frage auf, wie viele Menschen, sich diese Parteien genauer anschauen und nach wirklichen Vertretung ihrer Interessen suchen ohne die Angst zu haben, jegliche Repräsentanz zu verlieren. Klar, gibt es die 5-Prozent-Hürde aus nachvollziehbaren Gründen, aber das Bundesverfassungsgericht hat auch damals schon geurteilt, dass die Verhältnismäßigkeit gewahrt werden muss – es können nicht einfach große Teile der Stimmen ausgeschlossen werden. Aus meiner Sicht ist diese Schwelle längst überschritten, wenn ich alle die oben genannten zusammen nehme.

Das System braucht ein Upgrade

Aber wir können das System reformieren. Wir können mehr Menschen Repräsentanz ermöglichen, in dem wir das Mindestalter bei Wahlen senken, das Wahlrecht auf die Menschen ausweiten, die hier leben. Um diesem konkreten Problem zu begegnen, braucht es vor allem ein besseres Wahl- und Auszählungsverfahren, zum Beispiel durch ein Ersatzwahl-Recht, wie es unter anderem in Australien und Neuseeland, praktiziert wird. Dabei kannst du wie bisher dein einfaches Kreuz machen. Du könntest deine Präferenz aber auch durch eine Zahlen-Rangfolge ausdrücken. Bei der Auszählung würde die Stimme dann der Rangfolge nach an die Parteien übertragen, sollte es die vorherige Präferenz nicht schaffen. So gehen weniger Stimmen verloren und mehr Menschen werden zumindest teilweise repräsentiert. Das schafft auch keine volle Repräsentanz, aber ist ein guter Kompromiss, der den Wähler:innen erlauben würde nach ihrer wirklichen Überzeugung zu wählen ohne die Angst haben zu müssen, dass ihre Stimme strukturell ignoriert wird und damit gegenteilige Kräfte stärkt.

Auch bei der Erststimme für die Direktwahl würde über ein solches Wahl-Verfahren eher die Kandidat:in gewinnen, die die meisten Menschen zumindest als Kompromiss gut fänden. Es würde Allianzen und Kooperation stärken, anstatt die Spaltung zu forcieren.

Unabhängig. Für Alle.

Seit Jahren wird postuliert, die Zeit der Volksparteien sei vorbei, aber das System hat sich bisher nicht verändert. Im Gegenteil zwingt es die vernünftigen Menschen gegen seine Interessen zu wählen und frustriert sie. Diese Reformen liegen seit Jahren fertig ausgearbeitet in der Schublade. Aber umgesetzt werden sie nicht.

Es braucht ein Wachrütteln, ein Erdbeben, um die verkrusteten Strukturen zu lösen. Eine klare Ansage, dass die Menschen wollen, dass Politik sich wieder an Ihnen ausrichtet. Deswegen kandidiere ich als partei-unabhängige Bundestagskandidatin für Magdeburg. Um denen da oben klar zu machen, wenn ihr das nicht selbst reformiert, dann nehmen wir die Anstrengungen auf uns, überwinden alle Hürden, die ihr uns in den Weg stellt und nehmen euch die Bundestagssitze halt so ab!

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